14. Juni 2023

Besonderer historischer Fund kehrt nach Herbern zurück

Eine über 80 Jahre Fahrradklingel des jüdischen Unternehmers Ernst Samson aus “Herbern i. Westfalen” wurde kürzlich bei Erdarbeiten in Greven gefunden. Birgit Homann, die sich um die Pflege des jüdischen Friedhofes in Herbern kümmert, und Heinz Ringelkamp vom Beirat des Heimatvereins holten das historische Stück jetzt ab – und somit ist die Klingel wieder da, wo sie einst herkam – in Herbern.

Ernst Samson besaß seinerzeit eine Schlosserei und einen Fahrradhandel an der Merschstraße 175. Im Ersten Weltkrieg war er für seine besondere Tapferkeit mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden und allein schon somit ein hoch geachteter Bürger Herberns. Nichtsdestotrotz zertrümmerten am 10. November 1938 unbekannte Täter die Fenster seines Wohnhauses und des Lagers sowie vier große Schaufensterscheiben seines Geschäfts. In der Wohnung zerschlugen sie die Möbel. „Der Jude Ernst Samson, geb. am 8.3. 1889, verheiratet, zwei Töchter im Alter von 16 und 14 Jahren, ist in Schutzhaft genommen und auf Anordnung der Geheimen Staatspolizei dieser zugeführt worden“, heißt es in einem dokumentierten Bericht des damaligen Amtsbürgermeisters.

Wirtschaftlicher Ruin

„Ernst Samson stand nach der Rückkehr aus dem Untersuchungsgefängnis in Recklinghausen vor dem wirtschaftlichen Ruin“, berichtete der mittlerweile verstorbene Heimatforscher Josef Farwick in einer veröffentlichten Dokumentation über das jüdische Leben in Herbern. Denn ab dem 1. Januar 1939 mussten alle Juden auf Anweisung der Nationalsozialisten endgültig als Unternehmer, Handwerker und Gewerbetreibende aus dem Wirtschaftsleben ausscheiden.

Da Ernst Samson in Deutschland keine Existenzmöglichkeit mehr sah, wollte er nach Bolivien auswandern, was von der Geheimen Staatspolizei verhindert wurde. Stattdessen wurde er „zur Arbeitsaufnahme“ der Firma H. Hagen in Hamm „überwiesen“. Zur Kennzeichnung mussten er und seine Familienangehörigen einen „Judenstern“ tragen. Sein Vermögen fiel letztlich dem Reich zu. Noch bitterer, entwürdigender und unmenschlich gestaltete sich das Schicksal der Herberner Familie ab dem 11. Dezember 1941: Der damals 42-jährige Ernst Samson, seine Frau Emma (39) sowie die Töchter Margret (18) und Gerda (16) wurden zum jüdischen Sammeltransport nach Münster gebracht und zunächst ins 1700 Kilometer entfernte Ghetto in Riga deportiert. Von dort wurde die Herberner Familie in das Konzentrationslager Stutthof in der Danziger Bucht verlegt.

Töchter wanderten nach Amerika aus

„Ernst Samson ist von dort nicht zurückgekehrt. Sein Todesdatum ist unbekannt“, schrieb Josef Farwick in seiner Dokumentation. Emma Samson starb nach der Befreiung 1945 auf dem Rücktransport in Berlin. Die beiden Töchter kehrten zunächst nach Herbern zurück, fanden dort aber keine Heimat mehr und wanderten bald nach ihrer Ankunft nach Amerika aus.

Und nun ist hier die Fahrradklingel, die mit Rost bedeckt ist, aber sehr gut erhalten ist. Ein Fundstück mit Geschichte. Marian Tietz, Geschäftsführer des gleichnamigen Gartenlandschaftsbetriebes, recherchierte im Internet, wer denn überhaupt Ernst Samson gewesen war, nachdem Tietz-Mitarbeiter Dimitriy Kostyanytskyy die Klingel bei Bauarbeiten gefunden hatte. Da es in Greven auch eine Bauernschaft namens „Herbern“ gab, lag die Vermutung nahe, dass diese damit gemeint war. Aber dem war nicht so. Mit einer kleinen Abordnung wurde somit das wertvolle Fundstück in Greven entgegengenommen.

Walter Hölscher, gelernter Zweiradmechaniker aus Herbern, erinnert sich noch ganz genau an die Klingeldeckel mit Logo. Sein Ausbilder Karl Reinicke war Meister bei Ernst Samson gewesen und die Klingeln mit dem Namen war sozusagen ein Aushängeschild einer Firma. „So habe ich es damals auch praktiziert, wo ich selbst mein Fahrradgeschäft hatte.“ Wie die Klingel nach Greven gekommen ist, lässt sich nur vermuten. „Vielleicht über große Erdarbeiten, in der Zeit wurde zum Beispiel die A1 gebaut. Die Erde aus Herbern ist vielleicht so in Greven gelandet“, mutmaßt Tietz. „Vielleicht war es aber auch ein Fahrrad von Ernst Samson, das hier in Gebrauch war“, sagte Heinz Ringelkamp.

Dieses Geheimnis wird wohl eins bleiben, umso schöner ist es, dass das wertvolle historische Fundstück zum Gedenken an die Familie Samson wieder in Herbern liegt. Was jetzt genau damit gemacht wird, obliegt dem Herberner Heimatverein.

Text und Fotos: Isabel Schütte

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Zum Foto (v.l.): Heinz Ringelkamp, Dimitriy Kostyanytskyy, Birgit Homann und Marian Tietz

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